INTERVIEWS
«Die Digitalisierung führt dazu, dass anders über Kultur nachgedacht wird»
Die Digitalisierung wird von der Kulturabteilung der Stadt Zürich im Leitbild als ein Megatrend identifiziert – was bedeutet das für die städtische Kulturförderung? Barbara Basting, die Ressortleiterin der Bildenden Kunst, gibt Auskunft darüber, inwiefern die Digitalisierung die Zürcher Kunstinstitutionen auf Trab hält und warum die Kulturabteilung keine eigenen Social-Media-Kanäle betreut.
Eva Wittwer: Frau Basting, warum betreibt die Kulturabteilung der Stadt Zürich keine eigenen Social-Media-Kanäle?
BB: Ja, grundsätzlich schon. Wir sprechen hier von Arbeitszeit und Geld. Natürlich könnte man argumentieren, dass das auch eine verpasste Chance ist, denn es gibt wenig Möglichkeiten, diese Art von direkter Kommunikation mit einer breiten Öffentlichkeit anderweitig zu pflegen. Es ist aber zweischneidig, man muss auf jeden Fall gut überlegen, was man hier warum tut. Es ist jedoch unbestritten, dass zum Beispiel Instagram gerade für die Kunst extrem wichtig geworden ist. Das gilt nicht für alle Kultursparten gleichermassen.
Warum werden für gewisse Anlässe trotzdem Social-Media-Accounts erstellt von der Kulturabteilung, wie zum Beispiel für die «Kunst: Szene Zürich 19»?
«Man muss sich gut überlegen, was man warum tut»
BB: Für die «Kunstszene» haben wir tatsächlich einen eigenen Facebook-Eintrag und ein Instagram-Profil erstellt. Das war möglich, weil die «Kunstszene» als ein eigenständiges Projekt aufgetreten ist, und die Social-Media-Kanäle waren Teil der Gesamtkommunikation. Der Absender und der Zweck waren immer klar, man konnte auch sehen, dass die Kommunikation der «Kunstszene» vom Ressort Bildende Kunst innerhalb der Kulturabteilung kommt. Das war und ist aber klar projektbezogen. Derlei können wir rechtfertigen, wenn wir selber die Organisatoren einer Veranstaltung sind, was eher die Ausnahme ist.
Ist es für die Museen in Zürich allgemein wichtig eine Onlinepräsenz zu markieren?
BB: Es ist unglaublich wichtig. Wer hier schläft, ist selber schuld. Ich kenne aber eigentlich auch kein professionell geführtes Museum, das heute nicht wenigstens eine einigermassen brauchbare Homepage hat. Natürlich gibt es Qualitätsunterschiede. Beim Einsatz von Social Media sind hingegen manche noch etwas zaghaft, ich denke auch hier spielen die Ressourcen und die Kompetenz eine Rolle. Das kann ich gut nachvollziehen.
Achten Sie bei ihrer Arbeit darauf, wie sich ein Kunstmuseum mit digitalen Themen auseinandersetzt?
«Wer hier schläft, ist selber schuld.»
BB: Ja. Wenn ich merke, dass sich eine Institution darüber Gedanken macht, wie man digitale Kommunikationskanäle einsetzt, ist das für mich eine positive Aussage. Denn das zeigt mir, dass die Institution darüber nachdenkt, wie stark das Digitale, das Internet, Social Media in unseren Alltag eingreift und unsere Weltwahrnehmung prägt.
Die meisten Museen in Zürich sind heute auf Social Media vertreten. Machen sich die Kunstmuseen in Zürich solch weiterführenden Gedanken, was die Digitalisierung für die Museumsarbeit bedeutet?
BB: Ja, ganz klar, wenn auch nicht alle in gleichem Masse. Dabei rücken gerade bei der Auseinandersetzung mit Social Media auch ganz grundsätzliche Fragen wie «Was ist ein Bild?», «Was ist ein Kunstwerk?», «Wie gehen wir mit den vielen Bildern um?» in den Vordergrund. Und auf der betrieblichen Seite stellt sich die Frage, wie man ein junges Publikum abholen kann - da fällt einem ja fast automatisch Social Media ein.
Die Digitalisierung verändert unsere Kultur
Sie sagen, dass die Digitalisierung Dinge in Frage stellt, welche bislang eigentlich immer klar waren, wie eben «Was ist ein Bild?». Was sind andere Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung in der Kultur manifestieren?
BB: Der gravierendste Eingriff ist aus meiner Perspektive die Veränderung bei den Rezeptionsgewohnheiten. Wir haben durch die Digitalisierung zum Beispiel das Gefühl, uns ist alles und immer zugänglich, jedes Bild, jeder Text, jede Art von Musik. Wir müssen uns fast dagegen wehren, dass wir im Ansturm all dieser Möglichkeiten nicht ertrinken. Dieses Gefühl von ständigem Zugriff auf alles ist sicher eine ganz massive Veränderung in der Kultur gegenüber früheren Zeiten. Nicht zu unterschätzen sind auch die Fragen der Beständigkeit: Wird diese Art Kultur noch auf gleich Weise konserviert und weitergegeben werden, oder ist das alles extrem flüchtig und nur noch gegenwartsbezogen? Verlieren wir dabei unser kulturelles Gedächtnis, und was bedeutet dies?
Werten Sie das als eine positive oder negative Entwicklung?
«Die Rolle der Kultur als Ort der gesellschaftlichen Reflexion ändert sich grundlegend.»
BB: Es ist eine Tatsache, das muss man zunächst einmal nicht werten. Die Digitalisierung führt aber ganz sicher dazu, dass wir alle anders mit Kultur umgehen und man dementsprechend auch anders über Kultur nachdenken muss. Vielleicht verändert sich die Rolle der Kultur als Ort der Reflexion über unsere Gesellschaft gerade sogar sehr grundlegend. Aber es gibt natürlich durch die Digitalisierung auch viele neue Instrumente und neue Möglichkeiten. Neue Produktionsmethoden in der Kunst als einfachstes Beispiel: ich kann eine Skulptur heute am Computer entwickeln und als 3D-Modell ausdrucken.
Legt die Zürcher Kulturförderung ein besonderes Augenmerkt auf neue Kunstformen, die durch diese Veränderungen und das Internet entstehen?
BB: Ja und nein. Ja, weil wir grundsätzlich neugierig sind auf alles Neue, das entsteht und offen für Entwicklungen bleiben. Nein in dem Sinne, dass wir das Digitale nicht zur Bedingung oder zum Auswahlkriterium für Kunst machen. Jeder benutzt das Internet auf seine Weise, zum Teil auch als Thema oder Material der Kunst. Wir können und wollen das aber nicht zum Kriterium machen, denn das wäre ein Eingriff in die künstlerische Freiheit. Vielfalt ist wichtig in der Kultur. Und nicht jede Auseinandersetzung mit dem Digitalen muss selber unbedingt auch im digitalen Medium stattfinden. Im Gegenteil!
Welche konkreten Massnahmen um auch digitale Künste zu fördern werden ins Leitbild 2020-2023 übernommen, welches alle vier Jahre von der Direktion festgelegt wird?
BB: Im Bereich der Bildenden Kunst zum Beispiel ist es einer unserer konkreten Schritte, dass wir die vorhandenen Budget-Töpfe künftig etwas durchlässiger definieren wollen. Das heisst, dass wir in der nächsten Vier-Jahres-Periode beweglicher agieren können möchten, wenn wir sehen, dass Neues, Förderungswürdiges entsteht. Dinge ändern sich schnell, das ist ein Kennzeichen der Digitalisierung, aber die öffentliche Förderung ist grundsätzlich etwas behäbig, weil man Richtlinien nicht dauernd und rasch mal nach Belieben ändern kann. Wir wollen aber grundsätzlich hier mehr Agilität gewinnen.
Digitales und algorithmisches Kuratieren
Wie sieht die Zukunft, nebst dem Ressort für Bildende Kunst, in der Kulturförderung der Stadt Zürich aus?
«Unsere Kulturförderung soll zeitgemäss bleiben»
BB: Die Kulturabteilung als solche plant beispielsweise ein Pilotprojekt, bei dem es darum geht, neue Förderthemen, etwa im digitalen Bereich, mittels digitaler Plattformen zu erkunden und zu diskutieren. Das soll ein Experiment mit Mitwirkungscharakter werden. Wir werden uns in Zukunft vermehrt mit Themen wie digitalem und algorithmischem Kuratieren beschäftigen, also Fragestellungen rund um Auswahlkriterien und deren Entstehung. Bisher diskutieren wir diese Kriterien mit unseren Kommissionen. Vielleicht gibt es hierzu aber interessante Alternativen - das jedenfalls ist unsere These. Das Experiment soll uns dazu dienen, Neues in einem abgesteckten Rahmen auszuprobieren, ohne gleich das gesamte bestehende System über den Haufen zu werfen. Auf jeden Fall ist es unser oberstes Ziel, dass unsere Kulturförderung zeitgemäss bleibt und den Bedürfnissen und der Entwicklung der Gesellschaft entspricht.
Wie kommunizieren Sie Änderungen oder neue wichtige Themen, welche die Kunstinstitutionen betreffen?
BB: Für uns ist hierbei unter anderem sehr wichtig, dass sich auch die von uns geförderten Institutionen diesen aktuellen Herausforderungen stellen, denn der Grossteil unserer Kulturmittel geht in Form von Subventionen an die Institutionen. Mit direkten Forderungen an die Institutionen sind wir aber immer vorsichtig, unter anderem wegen der Wahrung ihrer Programmautonomie und Kunstfreiheit. Denn es sind zum Beispiel viele Themen, die mit Digitalisierung einhergehen, auch mit hohen Kosten verbunden, die man nicht so schnell aus laufenden Budgets decken kann oder die auch inhaltlich durchaus kritische Fragen aufwerfen. Muss man auf jeden Zug aufspringen? Da stellt sich dann rasch die Frage nach den Prioritäten.
Wird auch gemeinsam zu diesen Themen diskutiert und ein Austausch möglich gemacht?
«Wir wollen einen gemeinsamen Denkraum aufspannen»
BB: Wir führen intern Gespräche und veranstalten zusammen mit der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich Workshops, an denen wir gemeinsam mit den Institutionen diese aus unserer Sicht wichtigen Themen vorstellen und diskutieren. Wir geben da jeweils unsere Überlegungen weiter, stellen aber auch selber Fragen und erklären, was wir aus Sicht der Förderung, die immer auch die Perspektive auf möglichst die gesamte Gesellschaft und nicht nur spezielle Interessensgruppen einzunehmen versucht, für wichtig halten und worauf wir achten. Das kann sich mit Formulierungen verbinden, die sich dann in Leistungsvereinbarungen materialisieren. Aber hauptsächlich wollen wir einen gemeinsamen Denkraum aufspannen.
Wie kommen diese Überlegungen und die Ergebnisse an die Öffentlichkeit?
BB: In unserem neuen Leitbild für die Periode 2020-23 beschreiben wir jeweils Themen, die uns beschäftigen. Dieses Leitbild ist für alle öffentlich auf der Homepage der Kulturabteilung. Im Vorfeld haben wir die für uns wichtigen allgemeineren gesellschaftlichen und kulturellen Trends in einem umfassenden Prozess mit Brainstorming- und Vernehmlassungsrunden und im Austausch mit diversen Interessenkreisen identifiziert. In so einem partizipativen Prozess entstand auch schon das aktuell noch gültige Leitbild 2016-2019. Und wir hoffen, dass die Öffentlichkeit von der Auseinandersetzung, deren Ergebnis wir hier gebündelt vorlegen, Kenntnis nimmt und auch darauf reagiert, die Ansätze diskutiert, vielleicht sogar mit neuen Ideen für die Zukunft mit uns ins Gespräch kommt. Im neuen Leitbild wird die Digitalisierung nochmal stärker im Zentrum stehen als im aktuell gültigen. Dadurch signalisieren wir der Öffentlichkeit, dass wir diese Umbrüche wahrnehmen und uns sehr bewusst damit beschäftigen.
Ein Tipp: Wenn man sich unter Druck gesetzt fühlt, einen Social Media Auftritt zu starten, sollte man sich gut überlegen, was man warum tut. Im Zweifelsfall kann es sich eher anbieten, auf eine gut durchdachte und informative Website zu setzen.
Dieses Interview wurde am 20. Februar 2019 im Stadthaus Zürich geführt.