INTERVIEWS
«Wir wollen Museen als Orte von Menschen für Menschen erlebbar machen»
Das Kultur-Start-Up artsnext aus Zürich, organisierte letztes Jahr für junge Leute innovative Kunstevents in Museen – mit grossem Erfolg. Sandra Bickel und Andreas Geis von artsnext erzählen im Gespräch, wie sie Kommunikationslücken zwischen den Besuchern und Museen schliessen wollen und welche kleinen Veränderungen Museen vornehmen können um ein neues Publikum zu erreichen – digital sowie vor Ort.
Eva Wittwer: Sandra und Andreas, ihr bei artsnext erarbeitet neue, unter anderem auch digitale Vermittlungskonzepte für Museen, die sich vor allem an junge Leute richten. Warum brauchen Museen in diesem Bereich eure Hilfe?
Sandra Bickel: Die meisten Museen stehen vor der gleichen Problematik. Einerseits sind sie immer noch vorwiegend traditionell organisiert und haben deswegen Schwierigkeiten, sich auf neue Gegebenheiten und Trends einzulassen. Da fällt schnell der Begriff Digitalisierung. Für Museen ist dies eine ganz besondere Herausforderung. Und andererseits ist der Durchschnittsbesucher im Museum über 50 Jahre alt und weiblich. Viele Museen wissen gar nicht so recht, was ihre Besucher und auch Noch-Nicht-Besucher wirklich wollen. Gemeinsam mit Engagement Migros sind wir vor zwei Jahren gestartet, um herauszufinden, was millenials an Museen interessiert – aber auch umgekehrt. Wir haben schnell gelernt, dass sie ein grosses Interesse an Kultur und Museen generell haben, aber dass die Verpackung oft nicht ansprechend ist. Es gibt einen gap zwischen der Sprache, wie Museen mit ihrem Fachpublikum reden und wie junge Leute kommunizieren. Da braucht es eine Übersetzungsleistung.
Andreas Geis: Genau – wir versuchen neue Formate und Innovationen ins Museum zu bringen, gemeinsam mit den Museen und der jungen Zielgruppe.
Was heisst das konkret?
AG: Wir arbeiten sehr stark mit dem Publikum und den Museen in co-kreativen Prozessen zusammen und bringen beide an einen Tisch, um die gewünschten Formate für die Zielgruppe zu entwickeln. Wir sind eher Prozessexperten und Prozessgestalter und ermöglichen andere, neue Sichtweisen.
SB: Zudem sind wir ein sehr diverses Team und beschäftigen auch junge Leute, die ihr Know-How und ihr Netzwerk einbringen können. An den Events können wir zudem direkt Befragungen vornehmen um zu verstehen, was beide Seiten voneinander möchten.
Du sprichst hier die «amuze» Events von letztem Jahr an?
«Social Media ist ein Recherche-Instrument»
SB: Ja genau. Wir haben zusammen mit Museen, vor allem Kunstmuseen, Abende veranstaltet, um junge Leute an Museen heranzuführen. Mit zeitgenössischen Themen, Musik, Getränken. Es gab natürlich auch Führungen, welche jedoch bewusst nur 15 Minuten lang waren, um junge Leute neugierig zu machen. So blieben die Besucherinnen fokussiert und interessiert.
Wie findet ihr heraus, was die Besucherinnen interessiert?
AG: Im Projektverlauf haben wir gemerkt, dass der persönliche Kontakt und Austausch mit den Zielgruppen extrem wichtig ist. Die digitale Kommunikation via Social Media kann ergänzend dazu genutzt werden und dient auch als Recherche-Instrument.
SB: Wir nutzen Social Media während des ganzen Prozesses um mit der Zielgruppe in Kontakt zu bleiben. Im Vorfeld bei der Vorbereitung, während der Events und auch danach mit Fotos und Videos, wobei wir Kommentare und Feedback erhalten. So finden wir heraus, wie man komplexe Themen wie Kunst und Kultur über Social Media vermittelt.
Nämlich?
SB: Die Antwort haben wir noch nicht, wir sind am Ausprobieren.
Welche Social-Media-Plattformen sind für euch besonders wichtig, um herauszufinden wie man komplexe Themen am besten aufbereitet?
SB: Ganz klar Instagram. Dort wissen wir von Befragungen her, dass unsere wichtigste Zielgruppe, junge Leute, voll abgedeckt wird. Wir arbeiten auch mit Facebook, da viele Museen Facebook für Veranstaltungen nutzen. Wir versuchen eine Sache immer von mehreren Seiten anzugehen.
AG: Wir unterscheiden auch zwischen Business-to-Business- und Business-to-Consumer-Kommunikation, weil sich dafür auch die Plattformen unterscheiden, die wir nutzen.
Welche Trends erkennt ihr im Moment auf diesen Plattformen und allgemein, die für Museen spannend sein könnten?
SB: Eine Hauptfrage unserer Trendrecherche ist: «Was machen junge Leute gerne?» Etwas pauschalisiert kann man sagen, dass junge Leute gerne etwas erleben wollen, dass sie gerne mit Freunden unterwegs sind und dass sie gerne gamen.
Kompetenz- anstatt faktenorientiert
Wie übersetzt ihr diese Erkenntnis, diese Tatsache, dass Junge gerne gamen und mit Freunden etwas erleben wollen in ein Konzept für Kunstmuseen?
SB: Wir kamen ziemlich schnell auf die Idee des Escape-Rooms. So etwas hat man auch schon in Amerika in Museen ausprobiert um herauszufinden, wie man Inhalte über Spiel vermitteln kann. Und da setzen wir jetzt an.
«Wir wollen Erfahrungen ermöglichen, die zu einem tieferen Verständnis der Sache führen»
AG: Wir entwickeln einen Prototypen, der erstmal zeigen soll, dass es überhaupt möglich ist mit Storytelling und gamification junge Leute ins Boot zu holen. Und das probieren wir mit einem Art-Escape-Room im Löwenbräu Areal aus. Wir verpacken dabei nicht Faktenlernerei in ein lustiges Spiel, sondern es geht uns darum, Erfahrungen zu ermöglichen, die zu einem tieferen Verständnis der Sache führen. Da verfolgen wir keinen Hochkulturansatz, sondern die Frage «Wie können Museen dazu beitragen, junge Menschen auf ein erfolgreiches Leben vorzubereiten?» und ich würde sagen, das hat wenig damit zu tun, wann Paul Klee geboren ist.
Ich kann mir vorstellen, dass einige Museen mit Skepsis auf solche Ideen reagieren. Machen die Museen, mit denen ihr zusammenarbeitet, da ohne Schwierigkeiten mit?
AG: Nicht immer.
SB: Aber dazu sind ja wir da. Wir haben Angebote für Museen, in denen wir unsere Erkenntnisse teilen und zusammen herausfinden, wo die jeweiligen Anknüpfungspunkte sind. Wir verfolgen da sehr den Ansatz des Design-Thinkings. Schon früh testen, zusammen Dinge weiterentwickeln und sich auch mal etwas trauen. Dazu wollen wir die Museen ermutigen.
«Es ist ein Findungsprozess im Gange»
AG: Museen sind sehr traditionsreiche Bildungsinstitutionen, mit wichtigen Aufgaben - Sammeln, Forschen und Bewahren. Aber Museen konkurrieren zunehmend mit der Freizeit- und Vergnügungsindustrie. Das ist den Museen vielleicht gar nicht so bewusst. Das heisst, es fehlen die Mittel und Kompetenzen, dem entgegenzuwirken. Momentan ist ein allgemeiner Findungsprozess im Gange, der schwierig zu überblicken ist. Aber es wäre unfair von mir zu sagen, dass Museen nur verhalten und zurückhaltend sind. Das stimmt nämlich nicht. Es tut sich überall was.
Welche gut umsetzbaren Tipps könnt ihr Museen momentan geben, um mit der Freizeitindustrie zu konkurrieren?
SB: Für die Jungen ist das Museum ein Ort von Verboten. Man darf nicht fotografieren, nichts anfassen, nichts essen, seine Sachen nicht mitnehmen, nicht rennen, nicht laut sein. Und bei den Events ist das aufheben dieser Verbote ein grosser Erfolg. Wir raten den Museen diese Verbote zu überdenken. Vor allem das Fotoverbot, denn junge Menschen wollen Fotos machen und ihre Erlebnisse online teilen und dokumentieren.
AG: Wir raten den Museen minimal invasive Prototypen einzubauen, die dann extrem viel bewirken können. Und das «einfach mal machen» betone ich immer gerne zweimal.
SB: Gastfreundschaft kommt im Allgemeinen einfach auch sehr gut an. Und um das umzusetzen braucht es nicht viel. Wie bei unseren «amuze» Events zum Beispiel. Klar, man kann nicht jede Woche eine Party schmeissen, aber vielleicht lassen sich bestimmte Dinge in den Alltag übertragen. Wir wünschen uns, dass diese Offenheit in die DNA der Museen einfliesst.
Der Open-Source-Gedanke
Bindet ihr durch diese «amuze» Events die Besucherinnen nicht eher an euch als Veranstalter von tollen Partys, als an die Museen, wie es das Ziel ist?
«Es geht um Priorisierung und Budgetverschiebungen»
AG: Das ist durchaus eine berechtigte Frage. Es geht uns zwar nicht darum, überall Veranstaltungen zu organisieren, sondern eher darum, die Anleitung dazu zu liefern. Was die Häuser davon mitnehmen, ist ihnen überlassen. Wir verfolgen deswegen auch den Open-Source-Gedanken und tragen unseren Teil dazu bei, indem wir soviele Informationen liefern und bereitstellen wie wir können. Wie unsere Toolbox zum Beispiel, wo man viel Literatur zu den Themen Social Media, Digitalisierung und Kunstvermittlung finden kann.
Gibt es andere Möglichkeiten für Museen um neue Trends zu integrieren und neue Zielgruppen anzusprechen, die wenige Ressourcen benötigen?
SB: In Museen kann man durch Budgetverschiebungen und Priorisierung viel bewirken, das ist ja dann sozusagen kostenneutral. Es gibt fast überall Spielraum für Neues, wenn man sich dem öffnet.
AG: Auch für ganz kleine Betriebe gibt es Möglichkeiten. Wir wollen die Häuser dazu ermutigen, eine Experimentierhaltung zu etablieren und die Angst vor dem Unbekannten ein Stück weit zu verlieren. Es gibt ganz simple Sachen, wie zum Beispiel Bewegtbilder in die Social-Media-Aktivität einzubauen. Das kommt super an. Aber wenn Leute damit nicht so vertraut sind, denken sie oftmals in klassischen Kategorien. Da denkt man «Video», also engagiert man Filmer. Es ist jedoch wichtiger, das Museum und die Leute darin spürbar zu machen mit Ecken und Kanten, als dass es perfekt ist. Das ist unser Ding. Museen als Orte von Menschen für Menschen erlebbar machen.
Ein Tipp: Es lohnt sich alte Muster zu überdenken und zum Beispiel auch mal Kurzführungen von 15 Minuten anzubieten oder ein generelles Fotoverbot nur auf diese Räume zu reduzieren, in denen fragile Gegenstände ausgestellt werden.
Dieses Interview wurde am 15. Februar bei artsnext in Zürich geführt.