INTERVIEWS
«Es wird von uns als Kunsthaus Zürich erwartet, State of the Art zu sein»
Zeitgleich mit dem grossen Erweiterungsprojekt stemmt das Kunsthaus Zürich auch eine neue umfassende Digitalstrategie. Björn Quellenberg, der Leiter der Presse und Kommunikation des Kunsthaus Zürich gibt im Gespräch Auskunft darüber, welche Rolle Social Media dabei spielen wird und wie die strategische Neuausrichtung intern angegangen wurde.
Eva Wittwer: Herr Quellenberg, 2020 wird der neue Anbau des Kunsthauses eröffnet, der das Kunsthaus zum grössten Kunstmuseum der Schweiz machen wird. Dazu wird auch eine neue digitale Strategie entwickelt, welche Sie als Kommunikationsleiter implementieren. Was wird sich verändern?
Björn Quellenberg: Im Fokus der neuen digitalen Strategie steht die neue Website. Sie wird neu dem Prinzip mobile first folgen. Das heisst, dass der Gebrauch der Website mit dem Handy im Vordergrund stehen wird. Wir versuchen, alle Elemente gestalterisch sowie inhaltlich so zu gestalten, dass es für die mobilen Nutzerinnen einen Mehrwert geben wird.
Wie kann man sich das vorstellen?
«Wir folgen ab jetzt dem Prinzip mobile first»
BQ: Es wird deutlich weniger Ebenen auf der Website geben. Der Bildanteil wird massiv erhöht, Text geringer dosiert und nach Relevanz verteilt. Ausserdem reduzieren wir auf den oberen Ebenen, die alle responsiv, also reaktiv, und mehrsprachig funktionieren müssen, die Archivfunktionen. Gleichzeitig jedoch wollen wir die Digitalisierung der Bestände der Bibliothek und der Sammlung abschliessen und zugänglich machen. Zudem haben wir unsere Inhalte Suchmaschinenoptimiert, dass die Leute schneller finden, was sie suchen. Man kann heute nicht mehr von den Leuten erwarten, dass sie Online-Inhalte linear durchlesen, es ist nicht mehr zeitgemäss.
Website wird responsiv
Welchen Stellenwert wird Social Media innerhalb der neuen Strategie haben?
BQ: Mit dem Launch der neuen Website wollen wir verstärkt auf Social Media setzen. Die Website kann somit als soundingpanel für alle Aktivitäten dienen, die auf Social Media stattfinden. So wissen wir, was effektiv ist. Aber ohne eine responsive Website funktioniert das alles noch nicht, deswegen steht am Anfang der Launch der neuen Website.
Wie sieht die Social-Media-Kommunikation momentan aus für das Kunsthaus?
BQ: Unsere Social Media Arbeit funktioniert zweigleisig. Auf der einen Seite entwickeln wir Werbung für Ausstellungen und auf der anderen Seite wollen wir durch Social Media Traffic auf die Website holen. Wir versuchen ausserdem voraus zu planen, wenn es die Inhalte zulassen. Von längerer Hand muss man zum Beispiel planen, zu welchen Anlässen es starke Bilder geben wird, wo wir audiovisuell dabei sein wollen, und wenn man an ein internationales Publikum denkt, welche Inhalte übersetzt oder untertitelt werden müssen. Diesen Aufgaben geht unsere Content Managerin nach.
Ab wann wurde der Bedarf für eine Umstellung der Kommunikationsstrategie klar?
«Man hat uns erkennen lassen, dass man digitales Know-How von uns erwartet»
BQ: Unsere Basis hat den Bedarf geäussert. Die Personen, welche sich digital bei uns informieren, haben uns erkennen lassen, dass man mehr digitales Know-How von uns erwartet. Dazu kommt auch, dass das Kunsthaus mobil erreichbar sein soll und dass man sich spontan für Angebote im Kunsthaus entscheiden können möchte. Das sind grosse Anliegen unserer Userinnen.
Es klingt, als würde man bei der Neugestaltung grossen Wert auf die Meinung der Besucher legen. Wurden die User in die Planung der Neugestaltung integriert?
BQ: Es ist das erste Mal in der Geschichte des Kunsthauses, dass Prozesse hinter den Kulissen gemeinsam mit den Kundinnen angeschaut werden, um den Kundennutzen in den Vordergrund zu stellen. Das ist auch mit ein Grund dafür, warum wir schon über ein Jahr daran sind, den jüngsten Relaunch zu planen.
Gab es noch andere Gründe für die Verzögerung des Relaunchs?
BQ: Der letzte Relaunch hat vor acht Jahren stattgefunden. Seit drei Jahren sind wir nun dran, die responsivity und die neue Website zu planen. Wir mussten längere Zeit auf die Bewilligung der Mittel dafür warten, weil die Finanzierung der Erweiterung und deren Anschluss an den Bestand Priorität haben. Wir haben auch festgestellt, dass sich viele Prozesse und nicht nur das Nutzerinnenverhalten verändert haben, seit wir den Relaunch erstmals angegangen sind. Ausserdem haben wir versucht einen Zeitpunkt zu erwischen, bei dem alle Systeme kompatibel gemacht werden können. Die Kassensoftware, die Shopsoftware, die Buchhaltungssoftware, Onlinereservationsprozesse. Das ist schwerer als gedacht.
Richtet sich das Kunsthaus nun auch auf neue Zielgruppen aus?
BQ: Wir sind uns definitiv bewusst, dass Digital Natives gewohnt sind, nur mobil im Netz unterwegs zu sein. Das hat natürlich auch zu der Entscheidung beigetragen, vieles in den Onlinebereich zu verschieben. Aber im Vordergrund der Konzeption der neuen Strategie steht der Verkaufsnutzen, unabhängig von den Zielgruppen. Was wir als Kunsthaus tun, ist für alle öffentlich und grundsätzlich wollen wir nicht eine Plattform für Partikularinteressen und Partikulargruppen werden.
Eine neue Art von Zusammenarbeit
Muss eine strategische Neuausrichtung vom ganzen Museum unterstützt werden? Wie wurde im Kunsthaus die neue Strategie intern angegangen?
«Das Projektteam ist interdisziplinär zusammengesetzt»
BQ: Es wurde ein interdisziplinäres Projektteam für den Web-Relaunch gegründet. Den Lead haben dabei Vertreterinnen aus der IT. Das Team besteht ausserdem aus Vertretern der Kommunikation und des Besucherservices. Regelmässig wird auch die Direktion über die neusten Entwicklungen vom Projektteam aufgeklärt und informiert.
Und woher kam die Initiative für die neue Strategie und den Relaunch?
BQ: Der Impuls kam von unserer Abteilung, der Kommunikation. Denn wir sind in erster Linie für den Auftritt gegen aussen verantwortlich, für die digitale Visitenkarte des Kunsthauses. Der erste Schritt war es, in anderen Abteilungen ein Bewusstsein zu wecken, dass Prozesse online und offline besucherfreundlicher gestalten werden müssen um positiv auf das Erlebnis der Marke Kunsthaus zu wirken.
Musste in den anderen Abteilungen viel Überzeugungsarbeit geleistet werden?
BQ: Das war unterschiedlich. Während einzelne Abteilungen durch die fortlaufende Digitalisierung der Bestände die Deutungshoheit zu verlieren scheinen, sahen andere eine Chance, administrativen Aufwand zu reduzieren. Dritte waren unsicher, ob ihre redaktionellen Fähigkeiten ausreichen, den Anforderungen des Content Managements zu genügen.
Gibt es in der Kommunikationsabteilung auch Herausforderungen im digitalen Bereich?
BQ: Bisher kam es in Ausnahmefällen online zu Beschimpfungen oder negativen Reaktionen, die Besucherinnen auf unseren Plattformen hinterliessen. Es ist sicherlich eine Herausforderung, wie man mit so einer Situation am besten umgeht. Auf Facebook ist das zum Beispiel einmal passiert. Wir reagierten sofort und haben den Austausch mit der besagten Person gesucht, fanden aber schnell heraus, dass diese eigentlich nur hetzen wollte und nicht auf eine Einigung aus war. Wir haben die Interaktion anschliessend in unserem hausinternen Magazin abgedruckt um zu zeigen, wie wir in solchen Fällen handeln.
Wie wurde das von der Leserschaft aufgenommen?
BQ: Es hat viele total überrascht, da auf der einen Seite die heftige Kritik stand und dann erst auf der anderen Seite unsere Einordnung der Ereignisse. Es brauchte schon einen gewissen Mut, diesen Disput öffentlich zu machen und sich so offen zu zeigen.
Die Mehrheit der Kommentare ist ja nachweislich positiv, auf allen Kanälen. Wie reagieren Sie sonst auf Inhalte und Kommentare, die Besucherinnen auf den Social Media des Kunsthaus hinterlassen?
BQ: In Extremsituationen reagieren wir schnell. Wir haben festgestellt, dass die Besucherinnen aber auch Dialoge und Reaktionen auf weniger heisse Themen von uns erwarten und dass ein Monolog nicht mehr reicht. Daher werden wir die Reaktionsrate auf Userinputs erhöhen.
Antizipieren sie noch weitere Veränderungen in der Kommunikation durch die Implementierung der neuen Strategie?
BQ: Eine grosse Veränderung wird sicher sein, dass man für Aufmerksamkeit noch mehr zahlen muss als vorher, wenn man Social Media ausbauen möchte. Die Verschiebung der Kommunikation in den Onlinebereich zieht Kosten mit sich, die es früher nicht gab. Unsere Mittel wachsen leider nicht mit und wir wollen und können momentan noch nicht auf analoge Werbung verzichten. Plakate bringen uns nach wie vor eine grosse Visibilität. Wir müssen schauen, wie wir unsere Kapazitäten entsprechend anpassen und ob wir unsere Kommunikationswege verändern müssen, um den neuen Medien und den Besuchern gerecht zu werden.
Die neue strategische Ausrichtung
Was ist das übergeordnete Ziel, welches die neue strategische Ausrichtung anstrebt?
«Eine neue digitale Strategie ist überfällig»
BQ: Die Frage ist schlussendlich, ob einem die Zahl der Followerinnen auf Social Media mehr Eintritte ins Haus bringt. Wir sind ein privates Museum und müssen uns überwiegend aus eigenen Einkünften finanzieren. Unsere Anstrengungen in allen Bereichen müssen mehr Besucher zur Folge haben. Es ist überfällig, das gesamte Potenzial der Social Media zu analysieren und strategisch zu nutzen, um die kommerziellen Ziele zu erreichen.
Inwiefern überfällig?
BQ: Es wird von uns als Kunsthaus Zürich erwartet, State of the Art zu sein. Gerade auch vor dem Hintergrund des Erweiterungsprojekts, mit dem wir zum grössten Kunstmuseum der Schweiz werden. Die Leute sind in gespannter, freudiger Erwartung, mit einem gewissen Anspruch an Qualität und den wir wollen natürlich in allen Gebieten erfüllen - online, wie im Museum.
Ein Tipp: Digital Natives und millenials sind sich gewohnt vorwiegend über mobile Geräte aufs Netz zuzugreifen und es ist von Vorteil, wenn die eigenen digitalen Inhalte auch für den mobilen Gebrauch konzipiert werden.
Dieses Interview wurde am 13. Februar 2019 in der Villa Tobler in Zürich geführt.