INTERVIEWS
«Museen gehören zu den vertrauenswürdigsten Institutionen, die wir heute haben»
Wie kann Social Media klassische Museumskommunikation ergänzen und wie geht man mit neuen Trends im Museumskontext um? Im Gespräch veranschaulicht Prof. Dr. Axel Vogelsang, Autor von zwei wegweisenden Publikationen im Bereich Social Media in Museen, Lösungen zu allgegenwärtigen Problemen der digitalen Museumskommunikation anhand von erfolgreichen, angewandten Beispielen aus der Praxis.
Eva Wittwer: Prof. Vogelsang, sie forschen zum Thema Social Media im Museum. Welches sind die Herausforderungen, denen sich Museen im Zeitalter der Digitalisierung stellen müssen?
Prof. Dr. Axel Vogelsang: Eigentlich kann gar nicht mehr von Digitalisierung gesprochen werden, denn sie ist schon vollzogen. Viel interessanter sind gewisse Prozesse und gewisse gesellschaftliche Veränderungen, welche durch die Digitalisierung hervorgerufen und beschleunigt werden. Darunter auch, wie wir kommunizieren. Und die Bewegungen diesbezüglich gehen nicht nur in eine Richtung. Der Akin Trendreport sagt zum Beispiel voraus, dass mit zunehmender Digitalisierung der Wunsch von Menschen nach realen, authentischen Erlebnissen zunimmt. Die Leute wollen weniger Zeit online verbringen und mehr in der Realität erleben. Das könnte Museen zugutekommen. Und man muss sicherlich auch anders über Social Media reden als zuvor.
Wie meinen Sie das?
AV: Ich glaube, eine Übersättigung an Infos, an Bildern, an allem wird bald kommen. Und anstatt die User mit Content zu überschütten, sollten sich Museen überlegen, wie sie die Besucher on- und offline sinnvoll in ihre Arbeit integrieren könnten. Ein Beispiel dafür ist das Museum of Nordic History in Stockholm, welches einen Wettbewerb für die Cosplay-Community (Rollenspieler) ausgeschrieben hatte, in dem es darum ging, Kostüme von Figuren aus der nordischen Sagen- und Mythenwelt zu entwerfen. Um diese Idee herum wurde eine Kommunikations- und Social Media Strategie unter Einbeziehung der Cosplayer erarbeitet. So bindet man die Zielgruppe ganz eng an Ausstellungsprojekte, ans Museum und sichert sich gleichzeitig ein reges Engagement on- und offline. Da geht es nicht mehr um Digitalisierung, sondern darum, seine Zielgruppe und deren Bedürfnisse zu erkennen und anzusprechen.
Digitalisierung als Katalysator
Ist das eine Strategie, die in Museen jeder Grösse und Thematik funktionieren könnte?
AV: Natürlich sind die verfügbaren Mittel je nach Grösse der Institution sehr unterschiedlich. Aber gerade, wenn nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um Social Media das ganze Jahr über in grossem Umfang zu bespielen, so kann alternativ der Schwerpunkt auf eine spezifische Ausstellung mit einer spezifischen Zielgruppe gesetzt werden. Wird diese richtig eingebunden und fühlt sich ernst genommen, so kann man damit eine grosse Aktivierung erreichen.
Wie kann man als Kunstmuseum seinen Social-Media-Auftritt ohne Hilfe der Zielgruppe spannend gestalten?
«Spannende Geschichten fesseln die Leute»
AV: Das Wichtigste ist, dass man eine Geschichte zu erzählen hat. Kunstmuseen müssen sich nicht gross überlegen, was ihr Content ist, denn das liegt nahe. Die Kunst. Aber wie entwickle ich daraus eine Geschichte, die für viele spannend ist? Das ist die Herausforderung. Und das ist es, was die Leute schlussendlich fesselt. Und das kann etwas Thematisches sein, etwas Historisches oder auch eine spannende Biografie. Im Kunsthalle Bremen gab es z.B. eine Ausstellung zu Picassos Muse Sylvette, die diesen Ansatz sehr gut umsetzte. Die Ausstellung war ein Erfolg, da die Bilder über die Geschichte zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen wurden. Und dabei kann Social Media sehr unterstützend sein.
Der Vorteil von Blogs
Welche digitalen Kommunikationstools sollte man besonders beachten?
AV: Es ist nicht so schwierig, die Basics auf Social Media zu leisten was Frequenz und Information betrifft. So ist man schnell mal online präsent. Das Wichtigste aber ist eine gut funktionierende, gut bearbeitete Website. Das ist wirklich das Standardinstrument. Denn es ist auch wichtig zu archivieren und dafür ist Social Media nicht geeignet. Eine Website kann gut als Archiv dienen. Und wenn man viel zu veröffentlichen hat, dann funktioniert auch ein Blog wunderbar, der mit der Website verknüpft ist.
Können Sie einen spannenden Museumsblog empfehlen, der massgebend an einem zeitgenössischen Diskurs beteiligt ist?
«Ein Blog kann diskursprägend sein»
AV: Das Fotomuseum Winterthur betreibt einen wunderbaren Blog – «Still Searching». Die haben es als kleines Museum in der Schweiz geschafft, den öffentlichen internationalen Diskurs über zeitgenössische Fotografie online zu bestimmen. Die Blogeinträge, allesamt von Experten getätigt, sind inhaltlich auf hohem Niveau und richten sich an eine Expertencommunity. Da wird viel Zeit reingesteckt und der Blog war ohne Zweifel eine strategische Entscheidung. Durch den Blog werden höchstwahrscheinlich keine Eintritte generiert aber das kulturelle Kapital des Fotomuseums steigt deswegen an. Da geht es um Image und Themenführerschaft.
Wie kann man sämtliche Mitarbeitende eines Museums dafür gewinnen, solche Experimente zu wagen?
AV: Es müsste eine neue Kultur der Zusammenarbeit entstehen. Alle Bereiche müssen in die Kommunikation eingebunden werden und ihre Themen diesbezüglich verhandeln. Oft ist aber das Problem, dass nicht alle willens zu einem solchen Austausch sind und natürlich auch, dass viel Unwissen vorhanden ist, in Feldern die traditionell nichts mit Kommunikation zu tun haben. Oft werden dann Kommunikationskonzepte und Ideen teuer von aussen eingekauft. Wichtiger wäre es, intern eine Kultur zu entwickeln, bei der möglichst alle Bereiche gemeinsam an Ausstellungskonzepten und den damit verbunden Aktivitäten wie Vermittlung und Kommunikation arbeiten, dass man gemeinsam Neues ausprobiert und dabei agile Methoden einsetzt, das heisst z.B. auch, dass man schnelle Prototypen in kleinem Rahmen ausprobiert. Aber es braucht dazu viel Mut und sicherlich auch Ressourcen, denn umsonst geht leider nichts.
Die Rolle des Museums
Warum ist es so wichtig, eine neue Kultur ins Museum zu bringen?
AV: Die Rolle des Museums verändert sich fortlaufend. Früher waren Museen Orte der Stille und der Muse. Heute müssen sich Museen weiterentwickeln um relevant zu bleiben und müssen z.B. auch ihren Bildungsauftrag mal anders umzusetzen als bisher. Das Field Museum in Chicago hat mit einer ehemaligen Volontärin, die nun fest angestellt ist, Emily Graslie, einen Youtube Kanal entwickelt – «The Brain Scoop» –, der über die Themen aufklärt, die das Museum vermitteln will. Dieses Museum betreibt also nebenbei einen Videokanal, der das Wissen über die Naturgeschichte fördert und hat dabei sechsstellige Abrufzahlen pro Video. Da geht es eben nicht mehr darum, wie viele Leute zur Tür reinkommen. Das sind strategische Entscheidungen, die Museen treffen müssen.
Was könnten Gründe dafür sein, nebst den fehlenden Ressourcen, dass sich Museen nicht in dieser Weise öffnen wollen oder können?
«Museen geniessen das Vertrauen der Bevölkerung»
AV: Ich glaube, Museen haben Angst davor, das Vertrauen der Bevölkerung zu verlieren, wenn sie jedem Hype folgen. Das müssen sie ja nicht. Museen gehören immer noch zu den vertrauenswürdigsten Institutionen, die wir heute haben. Politiker, Nachrichtenmedien und Zeitungen kämpfen alle mit Glaubwürdigkeitsverlust. Museen geniessen ein hohes Ansehen. Es ist schwierig, dieses Spannungsfeld zu navigieren. Die Museen wollen einen gewissen Standard bewahren, wollen nicht zu populistisch werden, wollen die Kunst nicht verwässern. Deswegen ist es umso wichtiger, sich zu fragen «Wie können wir als Museum zeitgemäss bleiben und trotzdem das Vertrauen der Leute behalten?».
Wie kann Social Media bei dem Vertrauensgewinn der Besucherinnen eine Rolle spielen?
AV: Social Media spielt insofern eine Rolle dabei, da man die Leute miteinbeziehen kann. Wenn man den Besuchern zu verstehen gibt, dass man ihnen vertraut, bildet sich dieses Vertrauen auch bei den Besuchern ab. Das jüdische Museum in Berlin hat zum Beispiel eine interaktive Karte kreiert – «Jewish Places» – in der man relevante jüdische Stätten, Personen und Geschichten eintragen und teilen kann. Diese Aktion beruht auf einem Strategiewechsel des Museums der besagt, dass der digitale Raum genauso wichtig genommen wird, wie der reale. Es brauchte auch Mut von der Seite des Museums her, sich so zu öffnen, gerade im heutigen politischen Klima. Aber so zeigt man dem Publikum sein Vertrauen und es funktioniert.
Würden Sie einen solchen Strategiewechsel, nicht nur in der Kommunikation aber in allen Museumsbereichen, hin zu digitalen Anwendungen, wie Social Media, allgemein empfehlen?
AV: Wenn man in den digitalen Medien wahrgenommen werden will, macht das sicherlich Sinn. Und man kann Social Media als ein Mittel zur Kommunikation mit Zielgruppen sehen, aber auch als Erweiterung des Museumsraumes und da sind natürlich je nach Museum und Museumstyp die Möglichkeiten sehr unterschiedlich. Um dabei erfolgreich zu sein, ist es aber das Wichtigste, dass die Notwendigkeit für den Einsatz solcher Medien ganz oben in der Direktion erkannt wird und dass man dies nicht als eine lästige Pflichtaufgabe sieht, die man an die Marketing- und Kommunikationsassistenz auslagert, sondern dass möglichst viele Personen mit Begeisterung dabei sind.
Ein Tipp: Wenn man nur über beschränkte Ressourcen für Social Media verfügt, macht es Sinn, die Aktivitäten auf spezifische Ausstellungen zu fokussieren. Dies ist vor allem dann erfolgsversprechend, wenn man mit einer Ausstellung spezifische Interessengruppen ansprechen und in die Medien, Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit einbinden kann.
Dieses Interview wurde am 5. April 2019 im Café Si o No in Zürich geführt.